Drohende Bebauung von Mietergärten

Offener Brief der Bürgerinitiative „Grüne Westendallee“

 

 

 

 

 

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,

wir schreiben Ihnen als Neu-Westender Bürgerinitiative in der Hoffnung, dass Sie
die Zerstörung einer denkmalgeschützten Wohnanlage mit Grünoase noch
verhindern können. Wir als “Bürgerinitiative Grüne Westendallee” repräsentieren
über 100 Bürger, die rings um die Häuser Westendallee 77 bis 91 wohnen
und in einigen Fällen in der Anlage noch einen Mietergarten mit Vertragsbindung
haben. Ein Joint Venture aus GEWOBAG und OIB (ehemals BBH Immobilien)
versucht nun, eine Teilfläche in der denkmalgeschützten Gesamtanlage hinter den
Häusern Westendallee 77 bis 91 mit ca. 210 studentischen Wohnungen zu
bebauen. Insbesondere Herr Senator Gaebler scheint hier ein großes persönliches
Engagement zu entwickeln und diese Bebauung gegen jeden Widerstand
durchzusetzen.

Lassen Sie uns Ihnen kurz erläutern, warum wir gegen die Bebauung sind und was
hier droht, verloren zu gehen:

Die Wohnanlage Westendallee 77 bis 91 wurde in den 1920er Jahren im Zuge der
Architekturbewegung Neues Bauen als Gesamtanlage mit Kleingärten errichtet.
Städtebaulicher und sozialpolitischer Anspruch war es, dass jede Wohnung als
Gegenkonzept zu den damals stark verbreiteten Hinterhöfen Licht, Luft und Sonne
bekommen sollte. Des Weiteren wurde jeder Wohnung ein kleiner Mietergarten
(80 bis 100qm) zugeordnet, der in Zeiten der Inflation die Not durch
Selbstversorgung mit Obst und Gemüse etwas mildern sollte. Seit 1995 steht die Anlage mit Bestandsbauten aus dem Jahr 1922 unter Denkmalschutz. In der Begründung zum Denkmalschutz vom 29.05.2000 heißt es abschließend: „Die Reichsbank-Siedlung gehört zu den herausragenden Wohnanlagen der frühen Nachkriegszeit in Berlin nach 1918.“ Auch die Expertengruppe des
Denkmalbeirats Charlottenburg-Wilmersdorf empfiehlt eine Ablehnung der
Bebauung der Mietergärten, „weil dadurch die vorbildhafte Konzeption der
Einheit ihrer untrennbaren Bestandteile Wohnung und (Nutz-)Garten zerstört
würde“.

Leider unterliegt die Wohnanlage auch einer wechselvollen Geschichte als
Immobilienobjekt. Als 1993/94 die Bendzko Immobiliengruppe die Anlage
übernahm, hat sie einen 400 Meter langen und 20 Meter breiten Streifen der
Mietergartenfläche abgetrennt, um diesen separat bebauen zu können. Dies
geschah in dem vollen Bewusstsein, dass die Mietergärten fester Bestandteil der
Mietverträge sind. Auch heute noch existieren Mietverhältnisse, bei denen die
Gartenparzellen explizit benannt sind. Die Mieter von damals wurden natürlich
nicht gefragt und haben erst im Nachhinein davon erfahren, dass man versucht,
Ihre Mietergärten zu bebauen.

Im Jahre 2013 wurde das knapp 9 000 qm große Parzellengrundstück im Rahmen
eines Insolvenzverfahrens für ca. 75 000 Euro von der Firma Ostgrund Immobilien
GmbH „als nicht überbaubare Erholungsfläche“ und in Kenntnis des bestehenden
Denkmalschutzes ersteigert. Für diese sogenannte beste Lage ein unglaublich
niedriger Preis (ca. 8,50 €/qm). Aber es handelt(e) sich ja auch nicht um Bauland.
Die Firma Ostgrund hat das Grundstück inzwischen an ein Joint Venture aus
GEWOBAG und OIB (https://www.oib-projekte.de/, ehemals BBH Immobilien) für
knapp eine Million Euro weiterverkauft.

An dieser Stelle sei uns die Frage erlaubt, woher die Firmen die Gewissheit
nahmen, hieraus Bauland machen zu können, auch wohlwissend, dass hier seit
1995 Denkmalschutz für die Gesamtanlage (Häuser, Treppen, Mietergärten)
besteht? Und ausgerechnet eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft, von
der man erwarten sollte, dass sie sorgsam mit dem Steuergeld von uns
Bürgern umgeht, bzw. dass sie ihre Geschäfte und Projekte an am
Gemeinwohl orientierten Prüfkriterien ausrichtet, hat das Grundstück nun gekauft.
Politik und Staat (Baubehörden) dürfen der Bodenspekulation hier keinen
Vorschub leisten, indem eine Baugenehmigung unter dem Deckmantel Wohnungsnot schnell und um jeden Preis „abgenickt“ wird. Hier, Herr der Regierender Bürgermeister, sind Sie gefragt und Ihr verantwortungsvolles Handeln! Denn der Firma Ostgrund ging es nicht um Städte- oder Wohnungsbau, sie sorgte sich auch nicht um die Wohnungsnot von Studenten oder gar um das
Gemeinwohl. Nein, hier ging es ausschließlich um monetäre Interessen. Und nur
aus diesem einzigen Grund ist das Bauvorhaben überhaupt in der Welt. Leider hat
wohl auch die GEWOBAG nicht geprüft, worauf sie sich hier einlässt.

GEWOBAG und OIB (Herr Klaus Off) und auch Herr Senator Gaebler gehen nun
seit Jahren jedem Wunsch zur Diskussion aus dem Weg. Stattdessen wird mit aller
Macht das Bauvorhaben voran getrieben und versucht Fakten zu schaffen, bevor
die Bürger*innen in der Westendallee sich Gehör verschaffen können.

Uns ist bewusst, dass in Berlin Wohnungsknappheit besteht. Allerdings wird hier
versucht, auf einem äußerst engen Streifen (400m Länge und 20m Breite) zu
bauen, d.h. kostengünstig kann der Wohnraum in keinem Fall werden.
Des Weiteren wird die Zufahrt für Müllabfuhr und Feuerwehr direkt an den
Wohnzimmern der Bestandsgebäude vorbeigeführt. Hier geht jedwede
Privatsphäre verloren ohne Rücksicht auf die Bewohner, den Denkmalschutz oder
grundsätzlich zumutbare Wohnsituationen.
Dies wird zusätzlich noch dadurch verschärft, dass die Wohnräume der
viergeschossig geplanten Gebäude direkt gegenüber der Wohnräume der
Bestandsgebäude liegen sollen - mit einem Abstand von weniger als 10 Metern!
Hier wird im ursprünglich sehr weitsichtig geplanten Westend versucht eine neue
Hinterhofsituation zu erzeugen.

Nicht zu vergessen sollte man die einfache Bausubstanz der Wohnanlage, deren
Gründung auf einem Streifenfundament erfolgte und schweren Erschütterungen
nicht zweifelsfrei standhält. Wir Anwohner haben entsprechende Erfahrungen im
Rahmen der Sanierung der ICE-Strecke und in der Bauphase des neuen
Ausbildungszentrums der BVG machen dürfen. Von daher sehen wir einer
eventuellen Bebauung mit Erdaushub und Verdichtung des Untergrundes mit
großer Sorge entgegen.

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, wir laden Sie ein, uns in der
Westendallee zu besuchen. Machen Sie sich selbst ein Bild von der
denkmalgeschützten Gesamtanlage. Noch ist es nicht zu spät, eine Baugenehmigung zu verhindern. Wir bitten Sie auch, wirken Sie auf Herrn Senator
Gaebler ein. Er scheint mit großem Elan dieses Denkmal zerstören zu wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Bürgerinitiative Grüne Westendallee e.V.